Blutegeltherapie bei Gelenkbeschwerden und venöser Insuffizienz
Können Blutegel bei chronischen Krankheiten wie Arthrose weiterhelfen, wenn die konventionelle Therapie keine Linderung verschafft? Wissenschaftliche Studien untermauern den Therapieansatz. So zeigte eine an der Charité in Berlin durchgeführte Studie bei Patienten mit Kniegelenksarthrose erstaunliche Ergebnisse: Schon nach einer einzelnen Behandlung mit vier bis sechs Blutegeln hatten sich bei etwa 80 Prozent der betroffenen Patienten die Beschwerden verbessert.
Dass die Blutegeltherapie für Patienten sinnvoll ist – davon ist auch Robert Schmidt, Chefarzt im Krankenhaus für Naturheilweisen (KfN) in München überzeugt. Er behandelt mit diesem Komplementärverfahren Patienten, die chronisch unter Arthritis, Tinnitus, venöser Insuffizienz oder Arthrose leiden. Wie das in der Praxis aussieht, berichtet die Schmerzpatientin Monika Mörtlbauer. Chefarzt Schmidt ordnet ihren Bericht aus ärztlicher Sicht ein und erläutert die medizinischen Hintergründe.
Frau Mörtlbauer, Sie sind seit über 20 Jahren Arthrose-Schmerzpatientin, wie wurden Sie auf die Blutegeltherapie aufmerksam?
Durch meine behandelnden Ärzte. Meine erste Behandlung mit der Blutegeltherapie erfolgte in der Fachklinik Osterhofen: mit fünf Blutegeln am Rücken und jeweils zwei an den Händen. Als ich auf Empfehlung meiner Schmerzambulanz Freising ins Krankenhaus für Naturheilweisen kam, habe ich gefragt, ob man meine Knie hier ebenfalls damit therapieren könnte.
Wie wurden Sie bis dahin behandelt? Ausschließlich mit konventioneller Medizin oder auch mit komplementären Verfahren?
Zuvor wurde ich mit chemisch-synthetischen Medikamenten und auch mit Cannabis behandelt. Im KfN kamen im Rahmen der Schmerztherapie erstmalig phytotherapeutische Behandlungen mit Teufelskralle und Passionsblume dazu, die gut geholfen haben. Auch nach dem stationären Aufenthalt habe ich diese weiter genommen, dadurch konnte ich besser schlafen.
Herr Schmidt, warum setzt das KfN Blutegeltherapie ein und wie wird diese mit konventioneller Medizin und anderen komplementären Therapien kombiniert?
Eine Blutegelbehandlung kann gerade bei degenerativen Gelenkerkrankungen eine deutliche und langanhaltende Beschwerdebesserung herbeiführen. Sie ist nebenwirkungsarm und sicher in der Anwendung, wenn man einige Kontraindikationen, z.B. relevante Blutgerinnungsstörungen oder eine erhöhte Gefahr für Wundinfektionen bzw. –heilungsstörungen, beachtet. Dabei kann sie natürlich mit anderen komplementärmedizinischen Verfahren und/oder konventionellen Therapien kombiniert werden. Sie hilft aber in der Regel, den Bedarf an potenziell nebenwirkungsreichen Schmerzmitteln nachhaltig zu reduzieren. Immer wieder kann auch der Einsatz einer scheinbar unumgänglichen Gelenkprothese weit hinausgezögert oder sogar gänzlich verhindert werden.
Frau Mörtlbauer, die Behandlung scheint auf den ersten Blick eher unüblich, hatten Sie Vorbehalte?
Ich hatte schon davon gehört, aber so richtig vorstellen konnte ich mir das Ganze nicht. Vorbehalte hatte ich überhaupt nicht. Ich wurde aber auch sehr gut informiert.
Herr Schmidt, wie erleben Sie die Akzeptanz von Patienten gegenüber einer Blutegelbehandlung allgemein?
Die Akzeptanz ist sehr hoch, nur sehr wenige Patienten können sich eine Blutegelbehandlung gar nicht vorstellen, sie empfinden sie wegen der Egel manchmal befremdlich. Die Patienten, die zu uns ins Krankenhaus für Naturheilweisen kommen, sind überwiegend von Haus aus der Naturheilkunde gegenüber aufgeschlossen.
Frau Mörtlbauer, wie sah die Therapie praktisch aus?
Zur Vorbereitung wurde mir geraten, die zu behandelnden Stellen nach dem Duschen nur abzutrocknen, also nicht einzucremen, damit die Tiere nicht abrutschen. Bei den Behandlungen saß ich auf meinem Zimmer und hatte neben mir eine Notfallglocke, damit die Ärzte gegebenenfalls schnell einschreiten können. Mir wurden die Tiere vom diensthabenden Arzt angelegt – das muss schnell gehen, damit sie nicht entwischen. Bei meiner Kniebehandlung waren es pro Seite zwei Egel, ein Exemplar wollte nicht anbeißen. Beim ersten Anlegen, also dem Biss, bildet sich ein kleines Dreieck, das wie ein leichter Nadelstich schmerzt. Dann fängt die ganze Region ziemlich an zu jucken. Die ganze Sitzung dauert etwa 45 Minuten bis eine Stunde, anschließend fallen die Tiere ab. Während der Prozedur verändern sich die Blutegel stark: Zunächst haben sie die Größe eines kleinen Fingers, im vollgesogenen Zustand sind sie so dick wie Zeige- und Mittelfinger zusammen. Bei der Kniebehandlung blieben sie kleiner, ich denke, die Bedingungen zum Saugen sind an diesem Körperbereich weniger optimal, da sich dort viel Knochen bzw. Knorpelmasse befindet. Auf der einen Seite hatte ich einen Erguss, der jedoch vollständig abgebaut wurde. Wegen der starken Nachblutungen bekommt man einen Saugverband und muss sich anschließend bis zu vier Tagen schonen, damit die Blutzirkulation nicht angeregt wird.
Herr Schmidt, wie liefen die Therapiewahl und Behandlung im konkreten Patientenfall ab?
Bei gegebener Indikation – bei uns im KfN in erster Linie bei degenerativen Erkrankungen des Bewegungsapparates oder bei Rückenschmerzen – diskutieren wir mit dem Patienten aufgrund unserer sehr positiven Erfahrungen eigentlich immer die Möglichkeit einer Blutegeltherapie. Bei dieser Patientin bestand die Indikation Gonarthrose (Kniearthrose), Kontraindikationen lagen nicht vor. Nur mit konventioneller Medizin allein kann bei symptomatischer Arthrose oft keine befriedigende Schmerzreduktion erreicht werden, zudem steigt mit dem Schmerzmittelverbrauch natürlich auch das Nebenwirkungsrisiko. Daher sind wir für jede zusätzliche effektive und nebenwirkungsarme Behandlungsoption dankbar. Eine Blutegelbehandlung könnte im Verlauf auch wiederholt werden, sie ist also ein nachhaltiger Therapieansatz.
Frau Mörtlbauer, wie geht es bei Ihnen jetzt weiter?
Durch zwei weitere Neuerkrankungen habe ich aktuell leider starke Beschwerden. Demnächst werde ich mich wieder im KfN vorstellen, denn meine Behandlung liegt mehr als ein Jahr zurück. Ich denke, dass die Blutegelbehandlungen, wenn sie mehrfach und in kürzeren Abständen durchgeführt würden, noch größere und langfristigere Erfolge haben könnten.
Herr Schmidt, warum sollte die Blutegeltherapie wiederholt werden?
Nach der ersten Behandlung beurteilen wir zunächst den individuellen Behandlungserfolg, dieser stellt sich nach drei bis vier Tagen ein. Sobald die Bissstellen abgeheilt sind, kann die Blutegeltherapie kurzfristig wiederholt werden, auch mehrmals, bis eben keine weitere Besserung mehr zu erzielen ist. Der Effekt hält dann Monate, evtl. sogar über ein Jahr an, dann können wir erneut eine Behandlungsserie starten. Auf diese Weise können Blutegelbehandlungen langfristig in das Behandlungskonzept einbezogen werden und so über längere Zeit für Schmerzlinderung sorgen.
Frau Mörtlbauer, würden Sie die Blutegeltherapie anderen Menschen empfehlen?
Auf jeden Fall. Ich bin mit der Behandlung sehr zufrieden, denn sie hat meine Schmerzen gelindert. Grundsätzlich ist eine solche natürliche, nebenwirkungsarme Behandlung doch viel besser, als chemisch-synthetische Präparate einnehmen zu müssen.
Herr Schmidt, wie sieht es mit der Evidenz in Sachen Blutegeltherapie aus?
Bezüglich der wichtigen Indikationen Arthrose und vertebragene Schmerzsyndrome (von der Wirbelsäule ausgehende Schmerzen) ist die Wirksamkeit der Blutegelbehandlung durch Forschung gut belegt. Vor allem zur Gonarthrose gibt es zahlreiche Studien. Aber auch zu den weiteren Indikationen wurden schon Studien mit positiven Ergebnissen durchgeführt. Einen guten Überblick über die Grundlagen der Blutegelbehandlung und über die derzeitige Studienlage gibt das Lehrbuch „Blutegeltherapie“ von Prof. Andreas Michalsen und Manfred Roth (Haug Verlag, 2. Auflage von 2009).
Frau Mörtlbauer, wurde die Behandlung von den Kassen bezahlt? Hatten Sie eine Zusatzversicherung?
Ja, ich habe eine Zusatzversicherung, die einen stationären Aufenthalt von zehn Tagen jährlich übernimmt. Soweit ich informiert bin, zahlen die gesetzlichen Krankenkassen die Blutegeltherapie nicht. Es wäre wirklich wünschenswert, wenn sie die Kosten wenigstens anteilmäßig übernehmen würden. Da ist entsprechende Aufklärungsarbeit wichtig. Zudem wäre es schön, wenn die Kassen auch eine ambulante Blutegeltherapie zahlen würden- das wäre sicherlich günstiger als zahlreiche Medikamente.
Herr Schmidt, welche finanziellen Vorteile sehen Sie für das Gesundheitssystem aus ärztlicher Sicht, wenn Behandlungen wie die Blutegeltherapie erstattet würden?
Eine gewisse Erstattung gibt es, aber für den Behandler ist sie längst nicht kostendeckend, so dass eine Blutegeltherapie nicht refinanziert werden kann. Bei adäquater Erstattung hätte man ein effektives, nebenwirkungsarmes und langanhaltendes Behandlungsverfahren hinzugewonnen. Die Blutegelbehandlung selbst hat nicht nur ein äußerst günstiges Preis-Leistungs-Verhältnis, sondern kann auch helfen, wesentlich kostenintensivere Verfahren einzusparen, wie z.B. eine Arthroskopie oder einen Gelenkersatz. Zudem erhöht eine regelmäßige Schmerzmitteleinnahme, z.B. von NSAR (nicht steroidale Antirheumatika), wiederum das Risiko kostenintensiverer Komplikationen.
Herr Schmidt, wie beurteilen Sie den Erfolg der Blutegeltherapie? Bei welchen Erkrankungen ist diese besonders vielversprechend?
Die Blutegeltherapie hat vor allem einen sehr guten Effekt bei degenerativen Gelenkerkrankungen und vertebragenen Schmerzsyndromen, aber auch bei Entzündungen einzelner Gelenke. Beispielsweise kann sie im Rahmen einer Rheumatoiden Arthritis zum Einsatz kommen. Auch bei Tendovaginitiden (Sehnenscheidenentzündung), z.B. einer Epicondylitis (Tennisarm), ist sie erfolgsversprechend. Zudem kann sie die Symptome einer chronisch venösen Insuffizienz lindern und als Therapieversuch bei Hörsturz/Tinnitus angewendet werden. Natürlich müssen immer mögliche Kontraindikationen berücksichtigt werden, der Patient sollte vorab schriftlich aufgeklärt werden. Auch in der plastischen Chirurgie kann eine Blutegeltherapie positive Effekte erzielen, insbesondere wenn es in Transplantaten zu einem kritischen venösen Blutstau kommt.