Bessere Versorgung für die Menschen: WHO stärkt Integrative Medizin
Gegen mangelnde Patientenorientierung und zersplitterte Therapieangebote
Evidenzbasiert und gestützt auf die Säulen modernster Forschung und Technologie: So will sich das neue Zentrum der WHO in Indien in den Dienst der Komplementärmedizin stellen – um dessen wichtige Rolle im Rahmen globaler Gesundheitssysteme aufzuzeigen. In einem Strategiepapier bringt es die WHO kritisch auf den Punkt: In vielen Ländern dominieren „rein kurative, krankheitsorientierte und krankenhausbasierte Medizinangebote“.
Zudem sei eine Zersplitterung der Therapieangebote und eine mangelnde Patientenorientierung zu beobachten. Und genau das behindert die Entstehung eines Gesundheitssystems, in dem alle Menschen die Wahl haben, wo sie welche Therapierichtung für sich in Anspruch nehmen wollen. Gefordert wird deshalb, eine qualifizierte Komplementärmedizin stärker in das Gesundheitswesen der Länder einzubetten. Denn davon verspricht sich die WHO deutliche Verbesserung für die Menschen in den jeweiligen Gesundheitssystemen. Das bekräftigte schon Dr. Margaret Chan, bis 2017 Generaldirektorin der WHO: „Die beiden Systeme von traditioneller und westlicher Medizin sollten sich nicht bekämpfen. Im Bereich der medizinischen Grundversorgung können sie sich zum Vorteil beider ergänzen, indem die besten Aspekte beider Systeme eingesetzt werden und bestimmte Defizite jeweils ausgeglichen werden.“
Dass es dazu politischer Anstrengungen bedarf, steht außer Frage. Einen ersten Grundstein legte die WHO in ihrem im April 2022 gegründeten Globalen Zentrum für traditionelle Medizin in Jamnagar, Gujarat, Indien: Hier soll eine zuverlässige Referenz- und Beweisgrundlage für die Politik geschaffen werden – unter zur Hilfenahme von Studien, Big Data oder auch künstlicher Intelligenz. Ziel ist es, auf diese Weise den Ländern plausibel und wissenschaftsbasiert dabei zu helfen, traditionelle Medizin besser in die Gesundheitssysteme einzubinden.
Die WHO unterstützt ihre Mitgliedstaaten zum Beispiel durch die Regulierung, Erforschung und Integration von traditioneller und komplementärer Medizin in bestehende Gesundheitssysteme. Dazu gehört der Aufbau von Wissensdatenbanken und die Unterstützung der Forschung. Die Erstellung weltweit einheitlicher Richtlinien zu Qualität und Sicherheit pflanzlicher Arzneimittel ist Teil der WHO-Strategie für traditionelle Medizin. Ebenfalls soll eine einheitliche Methodik für klinische Studien in der traditionellen Medizin (TM) implementiert werden. Derzeit wird an der Entwicklung von Benchmarks für die Praxis in Akupunktur, Ayurveda, Tuina sowie Unani gearbeitet. Auch die Implementierung einheitlicher Praxis-, Forschungs- und Ausbildungsstandards will die WHO gezielt mit Trainings fördern. Und sie arbeitet über regelmäßige Erhebungen am Aufbau einer weltweiten Datenbank zur Bewertung der Situation in den Mitgliedstaaten und globaler Trends. Diese Ergebnisse sollen dann wiederum wissenschaftlich evaluiert werden.
Am 7. Februar 2023 entschied sich der Exekutivrat der WHO in seiner Sitzung in Genf, die aktuelle Strategie der WHO für traditionelle Medizin bis 2025 zu verlängern. Zwischenzeitlich stellte die WHO auf der 76. Tagung vom 21. bis 30. Mai 2023 in Genf eine weitere globale Strategie vor: Darin würdigt sie den Einsatz traditioneller und komplementärer Medizin, insbesondere während der COVID-19-Pandemie. Darüber hinaus unterstützt sie einzelne Mitgliedstaaten dabei, die beiden Therapieansätze durch evidenzbasierte Informationen besser zu evaluieren, um diese auch weiterhin in globalen Gesundheitskrisen einsetzen zu können.
Die Mitgliedstaaten nahmen die Resolution einstimmig an und sprachen sich dafür aus, die traditionelle, komplementäre und integrative Gesundheitsversorgung (TCIH) insgesamt weiter zu stärken. Die neue Strategie soll von 2025 bis 2034 gelten.
Zudem hat die WHO nach Ayurveda und Traditioneller Chinesischer Medizin im März 2023 nun auch global gültige Ausbildungsstandards für die Anthroposophische Medizin veröffentlicht. Die Benchmarks beinhalten Zugangskriterien zu Ausbildungen, Ausbildungsinhalten und Ausbildungsdauer. Da die Anthroposophische Medizin interdisziplinär ansetzt, gelten die neuen Ausbildungsstandards für Ärztinnen und Ärzte, Pflegende, Therapeutinnen und Therapeuten, Pharmazeutinnen und Pharmazeuten sowie andere Gesundheitsberufe. Sie verdeutlichen die Relevanz der Anthroposophischen Medizin als eine weltweit praktizierte Medizin und bilden eine Reaktion auf die weltweit steigende Nachfrage.
Die Schweiz und China machen eine gelungene Einbeziehung integrativer Medizinkonzepte jetzt schon vor. Ein WHO-Statusreport von 2022 zur Traditionellen Medizin verweist auf die Schwachstellen in anderen Ländern: Es mangele allerorten an qualitativen Forschungsdaten und Studien zum Thema sowie den Geldern dafür – so auch in Deutschland. Zwar gibt es hierzulande mittlerweile zehn Lehrstühle für Naturheilverfahren, diese gehen jedoch alle auf Stiftungen zurück. Und von den insgesamt in der Medizin aufgewendeten Forschungsgeldern fließen derzeit nur 0,01 Prozent in Studien zur Naturheilkunde. Eine von „Gesunde Vielfalt“ in Auftrag gegebene Umfrage zeigt, dass über 60 Prozent der Bevölkerung und mehr als der Hälfte der im Gesundheitswesen Beschäftigten ergänzende, also komplementäre Therapieangebote, wichtig sind.
Quellen:
https://www.gesundevielfalt.org/wp-content/uploads/2023/01/Civey_Umfrage_Website-1.pdf
WHO traditional medicine strategy: 2014-2023, in: www.who.int/publications/i/item/9789241506096
Pressemitteilung: WHO eröffnet Zentrum für traditionelle Medizin, in: www.who.int/news/item/25-03-2022-who-establishes-the-global-centre-for-traditional-medicine-in-india
Implementation of the WHO Traditional Medicine Strategy 2014-2023, in: www.who.int/activities/implementation-of-the-WHO-traditional-medicine-strategy-2014-2023
WHO Publishes Benchmarks for Training in Anthroposophic Medicine, in: www.thieme-connect.de
World Health Assembly to develop new WHO Traditional Medicine Strategy, in: www.echamp.eu