Wir ergänzen das pluralistische System der Medizin

© Sozialstiftung Bamberg Professor Dr. med. Jost Langhorst

Expertengespräch zur Integrativen Medizin mit Universitäts-Professor Dr. med. Jost Langhorst, Klinik für Integrative Medizin und Naturheilkunde am Klinikum Bamberg

Herr Prof. Langhorst, was hat Sie bewogen, sich der Integrativen Medizin zuzuwenden?

Als ich Medizin studierte, habe ich erfahren, dass der ganzheitliche Aspekt an vielen Stellen keine ausreichende Berücksichtigung findet. Entsprechend habe ich mich bemüht, einen eigenen Weg zu gehen. Ich bin Internist und Gastroenterologe, bin naturheilkundlich, psychotherapeutisch und in Balneo- sowie Physikalischer Therapie weitergebildet und habe mich im Fach habilitiert. Seit 2019 bin ich in Bamberg als Chefarzt mit eigenem Stiftungslehrstuhl der Universität Duisburg-Essen tätig. Dabei ist es mir sehr wichtig, das Feld der Integrativen Medizin seriös weiterzuentwickeln.

Warum therapieren Sie die Patienten nicht „nur“ mit konventioneller Medizin?

Ich habe gesehen, dass in der Akut-Medizin internistisch viele Dinge möglich sind, die aber für eine große Anzahl an Erkrankungen zu kurz greifen. Es gibt hier den sog. Drehtüreffekt: Er beschreibt, dass die Patienten entlassen werden und gleich, quasi durch die Hintertür, wiederkommen, weil durch die Versorgung keine adäquate Stabilität entstanden ist. Dieser Situation begegnen wir mit einem multimodalen integrativ-naturheilkundlichen Therapiekonzept.

Wie kann man sich das konkret bei Ihnen in der Klinik vorstellen?

Ziel und Voraussetzung ist, dass wir auf Facharzt- und Leitlinienniveau die konventionelle Medizin vorhalten. Unter dieser Voraussetzung schauen wir, was Naturheilkunde und Komplementärmedizin als Ergänzung zu bieten haben. Hier ist das Ärztinnenteam entsprechend qualifiziert, z.B. im Hinblick auf traditionelle chinesische Medizin und Akupunktur, Neuraltherapie oder auch Blutegeltherapie, etc. Es geht uns dabei darum, den in der konventionellen Medizin häufig rein pathogenetischen Zugang, „die Krankheit zu bekämpfen“, um einen salutogenetischen Zugang zu ergänzen, also „die Gesundheit zu erhalten“. Kennzeichnend hierfür ist eine ressourcenorientierte Arbeit mit den Patienten. In diesem Zusammenhang sind Selbstwirksamkeit und Selbstfürsorge wichtige Ziele der Therapie. Niedrigschwellige Therapieangebote wie Bewegung, Ernährung und Stressmanagement gehören dazu. Das wird vervollständigt und umgesetzt durch exzellente Physiotherapeuten und ein ausgezeichnetes Pflegeteam, das naturheilkundlich zusatzqualifiziert ist und beispielsweise mit Wickeln, Auflagen und ätherischen Ölen arbeitet. Wir haben eine exzellente physikalische Abteilung mit Bewegungsbad, verschiedene Intensitäten der Wärmetherapien bis hin zur wassergefilterten Infrarot-A-Hyperthermie. Unser „Operationssaal“ ist die Ordnungstherapie, in der Psychologen, Gesundheitspädagogen, Ökotrophologen und Diplomsportler in einem Team auf der Basis von Achtsamkeits-basierten Verfahren zu Generalisten ausgebildet werden und ihre spezielle Expertise in einem strukturierten Gesamtkonzept einbringen. All die genannten Therapien werden aufeinander abgestimmt und greifen ineinander.

Sind diese umfassenden Maßnahmen denn nur für Privatpatienten bzw. wer bezahlt das?

Nein, unsere multimodalen integrativ-naturheilkundlichen Therapiekonzepte werden von allen Krankenkassen übernommen. Das ist auch das Entscheidende: Es geht darum, dass wir allen Bürgern in Deutschland dieses Therapieangebot machen können.

Wie offen sind denn die Kostenträger? Der integrative Ansatz ist im Grunde perfekt, denn er spart natürlich immense Kosten, wenn Menschen mit chronischen Erkrankungen geholfen werden kann und sie nicht länger das Kassensystem belasten.

Es ist sehr komplex, einen Benchmark abzubilden, wie damit Geld gespart wird. Deshalb betreiben wir an unserem Stiftungslehrstuhl viel Forschung, um genau die wissenschaftlichen Argumente zu sammeln, die die Kostenträger und Entscheider überzeugen.

Wie gehen Sie vor, wenn Sie zu Themen, die die Integrative Medizin betreffen, forschen?

Voraussetzung für eine seriöse Patientenversorgung ist immer, dass man sich dem aktuellen Wissenschaftsparadigma stellt. Beispielhaft sind hierfür randomisiert kontrollierte Studien. Diese sind aus der Pharmakologie entstanden, für einzelne Therapiesäulen kann man das nutzen – beispielsweise in der Phytotherapie wird so geforscht. Für unsere Hyperthermie-Studie bei Patienten mit Fibromyalgiesyndrom, die wir gerade publizieren, haben wir auch ein randomisiert kontrolliertes Setting gewählt. Eine weitere wichtige Forschungsmodalität ist die Versorgungsforschung. Wichtige Voraussetzung für die Forschung im Bereich der Integrativen Medizin sind stabile Strukturen. Unsere stationären Betten sind fester Bestandteil im Akutbettenplan des Landes Bayern, das ist wichtig. Wir evaluieren systematisch bei Aufnahme und Entlassung sowie nach sechs Monaten, wie sich die Therapie auf den Krankheitsverlauf, die Lebensqualität und weitere psychosoziale Faktoren ausgewirkt hat. Es geht auch darum zu erforschen, wie die Therapieerfolge stetig verbessert und nachhaltig gemacht werden können. Zudem arbeiten wir in verschiedenen nationalen und internationalen Forschungs-Netzwerken.

Zu Ihrer Erfolgsbilanz in der Praxis. Welche Kombinationen von konventioneller und komplementärer Medizin funktionieren aus Ihrer Erfahrung am besten?

Das kann man nicht in zwei Sätzen sagen. Wir setzen sowohl auf konventionelle als auch auf komplementäre Diagnostik, setzen konventionelle Therapien ein, die wir mit den Säulen der Naturheilkunde verbinden. Es hängt sehr individuell davon ab, wo die Defizite und Bedürfnisse des einzelnen Patienten liegen. Integrativ und ganzheitlich bedeutet, die individuelle Konstitution des Patienten und seine bio-psycho-soziale und spirituelle Situation mit zu berücksichtigen. Auch die Krankheitsverarbeitung kann einen hohen Stellenwert haben.

Das wird häufig vernachlässigt. Die Patienten fühlen sich häufig allein gelassen.

In dem konventionellen Setting hat das oft nicht genug Platz bzw. nicht genug Zeit. Das liegt nicht zuletzt auch daran, wie die finanziellen Anreize im aktuell gültigen System gegeben werden. Das System unterstützt möglichst schnelle Entlassungen aus der stationären Therapie, um Geld zu sparen. Die Ökonomie darf nicht vor dem Patientenwohl stehen.

Was bedarf es aus Ihrer Sicht, damit sich die Integrative Medizin in Deutschland weiter durchsetzen kann?

Von entscheidender Bedeutung ist ein akademisches Netzwerk von universitären Lehrstühlen für Integrative Medizin und Naturheilkunde. Um Patienten vor Sackgassen und falschen Versprechungen zu schützen, ist die weitere Akademisierung der Naturheilkunde notwendig. Wir brauchen deshalb reguläre Lehrstühle für Naturheilkunde. Damit die Inhalte von Integrativer Medizin und Naturheilkunde im Lehrplan mehr Platz bekommen, damit wir unseren akademischen Nachwuchs rekrutieren können, der dann auch sagt, ich finde das so spannend, ich möchte hier meine berufliche Heimat finden und Professorin oder Professor für Naturheilkunde werden. Hier sehe ich meine Aufgabe, das Feld weiterzuentwickeln. Denn eins steht fest: Das Potential von Integrativer Medizin und Naturheilkunde ist noch lange nicht ausgeschöpft.

Ich habe gesehen, dass in der Akut-Medizin internistisch viele Dinge möglich sind, die aber für eine große Anzahl an Erkrankungen zu kurz greifen. Es gibt hier den sog. Drehtüreffekt: Er beschreibt, dass die Patienten entlassen werden und gleich, quasi durch die Hintertür, wiederkommen, weil durch die Versorgung keine adäquate Stabilität entstanden ist. Dieser Situation begegnen wir mit einem multimodalen integrativ-naturheilkundlichen Therapiekonzept.

Jost Langhorst

Chefarzt

Professor Dr. med. Jost Langhorst, Klinik für Integrative Medizin und Naturheilkunde

Professor Dr. med. Jost Langhorst

Chefarzt der Klinik für Integrative Medizin und Naturheilkunde am Klinikum am Bruderwald, Sozialstiftung Bamberg, mit 25 stationären Betten und Praxis für Integrative Medizin und Naturheilkunde
Stiftungslehrstuhl für Integrative Medizin, Schwerpunkt Translationale Gastroenterologie der Universität-Duisburg-Essen am Klinikum am Bruderwald in Bamberg

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